Jeden Tag eine neue Ausrede! Vorgestern war die Waschmaschine dran, gestern die Omma. Heute kommt endlich die Krankenschwester an die Reihe. Ohne die geht im Krankenhaus gar nichts. Ohne Autos aber auch nicht. Die Radkolumne hat recherchiert und klärt auf.
Der Glottertal-Erlass von 1985
Bis 1985, dem Eröffnungsjahr der Schwarzwaldklink, waren die meisten Krankenhäuser noch in Ballungsräumen angesiedelt und fußläufig oder per Bus und Bahn bestens erreichbar. Gewandelt hat sich die verkehrstechnische Anbindung mit der von Gesundheitsminister Brinkmann (CDU, Kabinett Kohl II) eingeleiteten Krankenhausreform. Im sogenannten Glottertal-Erlass wurden alle Krankenhäuser mit einer Kapazität von über 1.000 Betten aufgelöst, dezentralisiert und ruralisiert. Betroffen waren beispielsweise die Universitätskliniken von Bochum, Berlin und Freiburg. Die neuen Standorte der Krankenhäuser:
- Bochum: Das Bochumer Universitätsklinikum (4604 Betten) wurde in 51 Spezialkliniken aufgeteilt, die in den 51 Stadtteilen von Bad Münstereifel ein neues Zuhause fanden.
- Berlin: Die 3001 Betten der Berliner Charité wurden in das Berliner Umland verlegt. Operiert und auskuriert werden die Berlinerinnen und Berliner heute in zwölf Brandenburger Regionalkliniken. Die neuen Krankenhäuser befinden sich unfallnah an den Autobahnkreuzen der Ringautobahn A10, dem längsten Autobahnring Europas.
- Freiburg: Einen Sonderfall bildete der Standortwechsel der Universitätsklinik Freiburg. Die 2179 Krankenbetten wurden komplett in das Glottertal verlegt.
Die letzte Glottertalbahn
Mit der Pensionierung des Lokomotivführers Erwin Faller endete die Eisenbahn-Ära im Glottertal. Seither ist die Schwarzwaldklinik von öffentlichen Verkehrsmitteln so gut wie abgeschnitten. Montag bis Freitag fahren noch zwei Schulbusse, aber für das im Schichtdienst tätige medizinische Personal ist das natürlich keine Option. Nicht anders ergeht es den Kolleginnen an den Vulkanhängen der Eifel und in den Regenwäldern von Brandenburg. Kein Auto, kein Krankenhaus.
Kein Auto, kein Krankenhaus
Autos und Krankenhäuser sind noch auf eine weitere Art verwoben. Wir werfen dazu einen Blick in die abendländische Medizingeschichte: Wir begeben uns in das antike Rom. In die Stadt, in der zahlreiche Gladiatoren ihre Kämpfe austrugen und medizinische Soforthilfe in Anspruch nehmen mussten. In Rom unterhielt der berühmte Sport- und Wundarzt Galenos (129-216 n. Chr.) seine ärztliche Praxis und in Sichtweite des Kolosseums verfasste er seine wichtigsten wissenschaftlichen Schriften. Für den Fortschritt der hippokratischen Kunst waren die Gladiatorenkämpfe ein Segen! Und heute? Bedauerlicherweise sind die Amphitheater nicht mehr in Betrieb. Aber dafür haben wir Fahrzeuge, die in wenigen Sekunden auf 100 Stundenkilometer beschleunigen und die schmerzliche Lücke füllen. Die Automänner sind die Gladiatoren von heute. Welch Glücksfall für die Medizin, denn ihre Darbietungen garantieren unseren Krankenhäuser eine nachhaltige Auslastung – und sichern damit die Arbeitsplätze tausender Krankenschwestern. Dafür sollten wir öfter mal danke sagen.
Die Krankenschwester im Ausreden-Check
9 von 10 Punkten. Die Krankenschwester ist auf das Auto angewiesen. Die Omma (8 Punkte) ist auf die Krankenschwester angewiesen. Klare Lage!
Eigentlich geht es bei dieser Ausrede um ambulante Pflegedienste, die mit dem Smart unterwegs sind und dann in Parklücken am Straßenrand senkrecht hineinfahren als eine Spezialform des „parallel parking“. Ich kenne aber auch eine, die nicht einmal einen Führerschein hat und alles mit dem Fahrrad macht. „Bis die anderen in der List von Hannover einen Parkplatz gefunden haben, bin ich nicht nur angekommen, sondern bereits auf dem Weg zum nächsten Patienten.“
Das ist natürlich die beste Lösung.
Ansonsten für Pflegedienste, Handwerk und Lieferfahrzeuge: Spezielle Parkzonen, in denen Unbefugte sofort abgeschleppt werden.
Moin Moin.
Ich bin ambulant im Cuxhavener Raum unterwegs und ja, es geht tatsächlich nicht ohne Auto. 100 km im Teildienst strampelt man nicht mal mit einem 45er Jobrad…
Wenigstens bieten wir unseren Mitarbeitenden eine Privatnutzung der Dienstfahrzeuge an, was bei einigen dazu führte, das der Privatwagen abgeschafft wurde. ÖPNV sucht man hier nämlich vergeblich, um zum Dienstbeginn vor Ort sein zu können.
Mit meinen JobLastenrad bin ich dennoch im näheren Umkreis der Station auch gern dienstlich unterwegs und mache dabei auch noch Werbung.
…ja, ich war vor einigen Wochen mal im Norden, etwas weiter westlich bei Varel. Letzter Bus vom Strand in die Stadt um 19:30. 1 Bus pro Stunde, das ist absolut lächerlich. Öffis fährt da niemand.
meine Ex ist Krankenschwester und hat Früh- und Spätdienste, Nachtdienste werden ihr zum Glück erspart. Das heiß, für sie, die nicht in der Nähe des Krankenhauses, An- und Abfahrten nach einem Knochenjob zu unmöglichen Zeiten, bei jedem Wetter. Ich finde es gut, dass sie ein Auto hat. Das heißt natürlich nicht, dass jeder eines haben muss. Ich hingegen als sesselpupsender Freiberufler komme sehr gut mit Fahrrad und Öffis klar.
Ja, in vielen Fällen ist ein Auto notwendig. Aber es geht ja darum, dass viele, die keines brauchen, plötzlich ihre Fürsorge für alle Krankenschwestern entdecken. 😉