Viele Autofahrer sind von den frechen Ansprüchen der Radler total genervt. Sie wünschen sich die Siebziger Jahre zurück – die paradiesische Zeit, in der die deutschen Städte autogerecht umgestaltet wurden. Wer heute noch wissen will, wie schön es damals bei uns war, sollte einen Flug nach Riad buchen, der Hauptstadt von Saudi-Arabien.
Die Fahrrad-Fatwa
In Saudi-Arabiens Hauptstadt haben Radfahrer wenig zu melden, und Radfahrerinnen noch weniger. Die Religionspolizei hat nämlich eine Fahrradfatwa erlassen, die Frauen auf Fahrrädern mit einem Wust an Vorschriften ihren Platz im Straßenverkehr zuweist. Vorschriften sind besser als Radwege. Wie bei uns.
Autoparadies Riad
Saudi-Arabien ist, gelinde ausgedrückt, ein abgeschottetes Land mit eigenen Spielregeln. Doch der religiöse Fanatismus und die Machtspiele in der Ölregion sollen hier auf der Radkolumne ausgeklammert werden.
Zurück zur Verkehrspolitik. Auskünfte darüber, wie die Bürger in der 6-Millionen-Metropole Riad von A nach B kommen, gibt die offizielle Regierungsseite. Die Prioritäten sind ganz klar gesetzt. Erst kommt das Auto, dann das Auto, dann das Auto. Mitten durch die Stadt wurde die King Fahd Road gebaut:
Die Straße ist 95 Meter breit. Einen großen Teil nimmt der 40 Meter breite, offener Tunnel ein, der sich der etwa 8 Meter unter die Erdoberfläche befindet. Jede Fahrspur hat drei Spuren in beiden Richtungen sowie zwei 15 Meter breite Nebenstraßen auf beiden Seiten. Die Servicestraßen können bis zu drei Fahrspuren aufnehmen, wodurch sich die Gesamtzahl der Spuren in der Nähe von Kreuzungen erhöht.
Quelle: Riad Development Authority (der ursprüngliche Text wurde inzwischen geändert)
Leben und Sterben in Riad
Die Auswirkungen dieser alleine auf das Auto ausgerichteten Verkehrspolitik beschreibt ein deutscher Rettungssanitäter im Nachrichtenmagazin Spiegel. Die Raser- und Poserszene fordert ihre Opfer:
Dicke Autos sind zudem oft das einzige Hobby der jungen Männer […] Was es gibt, ist die Ring Road, einen Highway, der um die Stadt Riad herumführt. Dort gehen diese Leute driften, und irgendwann überschlägt sich eben einer. Dann haben Sie fünf, sechs Tote auf dem Highway liegen.
Quelle: Spiegel Online, 10.6.2014
Riad und die Konservativen
Noch niemals haben die konservativen Kräfte, sprich FDP, CDU und AFD, Riad als positives Beispiel für ihre verkehrspolitischen Ziele genannt. Dies ist etwas verwunderlich, denn in der saudischen Hauptstadt wurde doch alles umgesetzt, was konservative Verkehrsplaner auch bei uns fordern. Die Straßen sind 12-spurig, eine städtische Ringautobahn wurde angelegt, damit „der Verkehr gut abfließen kann“. Warum diese mangelnde Begeisterung auf der Seite der deutschen Intensiv-Autofahrer?
Wir Radfahrer
Wir Radfahrerinnen und Radfahrer haben es da einfacher. Wir begeistern uns für Städte wie Amsterdam, Kopenhagen, Utrecht, Oslo und Helsinki. Städte mit einen funktionierenden Verkehrssystem, das kaum noch Schwerverletzte und Tote produziert. Oslo und Helsinki hatten 2019 null Tote Fußgänger und Radfahrer zu verzeichnen. Ein schöner Erfolg für Vision Zero!
Radfahren in Riad? Und dann auch noch als Frau? Ja, im konservativsten Land der Welt existiert tatsächlich ein weiblicher Fahrradclub, die Heldinnen nennen sich Bisklita. Die saudisch-arabische Regisseurin Haifaa al Mansour hat den mutigen Frauen von Riad einen beeindruckenden Film gewidmet: Das Mädchen Wadjda erzählt die Geschichte eines 11-jährigen Mädchens. Wadjda, die in einem konservativen Elternhaus aufwächste, wird jeden Tag mit einem riesigen Pick-up in die Schule gefahren. Ihr größter Wunsch: Sie möchte sich ein Fahrrad kaufen.