Die Radkolumne zerstört die FDP: Die FDP ist nach Eigenverständnis die Partei der Freiheit, des Fortschritts und der persönlichen Verantwortung. Da müsste das Fahrrad ja das Lieblings-Verkehrsmittel der Liberalen sein, ermöglicht es doch die freie Fortbewegung aus eigener Leistung.
Das Gejammer der Berliner Auto-FDP
Doch wehe, das Velo breitet sich auf den Straßen einer Stadt aus, wie in Berlin. Die FDP jammert dort nämlich wie ein Dreijähriger, dem der Luftballon weggeflogen ist. Denn die Berliner Liberalen beschwören ein Gespenst des vergangenen Jahrhunderts – die autogerechte Stadt.
FDP 2014: Auto, Auto, Auto
Unter Verkehrspolitikerinnen und -politikern berüchtigt ist folgender Beschluss des Berliner FDP-Landesausschusses von 2014. In diesem Jahr fand die große liberale Parkplatzbeweinung statt.
Zukünftig darf es nicht mehr zur Umwidmung bestehender Stellplätze [gemeint sind Auto-Stellplätze] ohne entsprechende Kompensation kommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um die Schaffung neuer Grünflächen, Wohnraum oder Fahrradständer handelt.
Quelle: Berliner FDP-Landesausschusses vom 1.4.2014: Autofahrern das Leben nicht schwer machen
Um Himmels Willen! Auto-Stellplätze zu Fahrradständern! Da leidet die liberale Seele. Weiter heißt es im Berliner FDP-Programm vom 1. April (sic!):
Zudem kann die Wiedereinführung einer Parkraumverordnung sinnvoll sein, die bei Bauprojekten den Nachweis einer ausreichenden Zahl von Parkplätzen in der Umgebung zur Auflage macht
Quelle: Berliner FDP-Landesausschusses vom 1.4.2014: Autofahrern das Leben nicht schwer machen
Interessant … die FDP als Sammelbecken der Bürokraten. Mehr Vorschriften für den Bau von Häusern. Weil es da ja noch zu wenige gibt?
FDP 2018: Auto, Auto, Auto
Nun liegen die obigen Beschlüsse schon eine Weile zurück. Vielleicht hat sich die Berliner FDP inzwischen gewandelt und die wirren Auto-Prediger aus der Partei vertrieben? Nicht wirklich, denn in einem Beschluss vom 10.3.2018 heißt es:
Der Bau der Tangentialverbindung Ost (TVO) muss als erforderlicher Lückenschluss im östlichen Berliner Straßennetz forciert werden und kann nur im vierspurigen Ausbau den absehbar zunehmenden Wirtschaftsverkehr bewältigen.
Quelle: FDP Berlin, Maßnahmen für eine attraktive und prosperierende Metropolregion
Vierspurige de-facto-Autobahnen? In einer Großstadt haben Autobahnen nichts verloren. Und so nebenbei, liebe FDP-Verkehrsexperten: Es heißt Streifen, nicht Spuren. Es gibt nämlich einspurige und mehrspurige Fahrzeuge, und als Experten solltet ihr schon mit den richtigen Begriffen arbeiten.
FDP 2021: Auto, Auto, Auto
Kaum hat das Jahr 2021 begonnen, wettert die Berliner FDP schon gegen 500 Meter Radweg – und zwar in der Friedrichstraße. Angeblich gehen dort jetzt alle Läden kaputt, tatsächlich hat die Verbannung des Autos die Attraktivität dieses Teils der Friedrichstraße erhöht. Siehe hierzu die Rede von Sibylle Meister am 14.1.2021 im Berliner Abgeordnetenhaus (bei Minute 9:00): Sibylle Meister im Parlament.
Der Kampf zum die Friedrichstraße
Was Frau Meister auszeichnet: wie viele andere FDP’lern die Abwesenheit der richtigen Begriffe. Sie spricht bei ihrere Rede im Abgeordnetenhaus nämlich explizit von einem Radschnellweg in der Friedrichstraße. Der ist aber dort gar nicht eingerichtet. Was Frau Meister nicht weiß oder unterschlägt: Ein Radschnellweg dient, wie eine Autobahn, der schnellen Durchquerung einer Strecke. In der Friedrichstraße ist kein Radschnellweg und auch keiner geplant. Die Lage: Wo früher die Autos die Straße zum Flanieren unattraktiv gemacht haben, ist nun eine gemütliche Bummelzone für Fußgänger, Radfahrer und Fahrgäste des ÖPNV. Warum die FDP ein Problem damit hat? Man weiß es nicht so genau …
Der Populismus der FDP
Was die FDP bei ihrer verkehrspolitischen Irrfahrt antreibt? Entweder glauben sie tatsächlich noch an die Wahnidee der autogerechten Stadt, oder es handelt sich ganz einfach um Populismus. Um das Einfangen von autofahrenden Wählern, denen man die Wahrheit nicht zumuten möchte: ihre Privilegiertheit.
Die Privilegien der Autofahrer
Was Autofahrer nicht wahrhaben wollen, ist ihre Privilegiertheit. Sie sind nämlich nicht die Melkkühe der Nation, sondern die Melkmaschinen. Sie haben sich eine Fülle von Sonderrechte herausgenommen, die endlich mal auf den Prüfstand gehören: Das Sonderrecht, ein Auto am Straßenrand abzustellen. Das Sonderrecht auf einen Toleranzbereich bei Tempolimit (ein Ladendieb genießt eine solche Toleranz nicht). Das Sonderrecht, in Tankstellen rund um die Uhr einkaufen zu können (an Bahnhöfen haben die Läden nicht 24 Stunden geöffnet). Das Sonderrecht, mit einem Auto als Waffe vor Gericht mit Milde behandelt zu werden (Ein Mörder, der ein Gewehr verwendet hat, ist schlechter dran als ein Raser).
Feudalrechte abschaffen
Die Feudalrechte der Autofahrer gehören ebenso abgeschafft wie die des Adels. Wer, wenn nicht die FDP, die Partei der Leistung und des Individuums, sollte die Abschaffung von Gruppenprivilegien einfordern? Doch wie positioniert sich eine ganze Reihe von FDP-Politikerinnen und Politiker? Sie fischen Wählerstimmen von Autofahrern ab, von Autofahrern, die sich schikaniert fühlen, weil sie Ihre Privilegien in Gefahr wähnen. Ausgerechnet die Liberalen bestärken diejenigen, die auf Gewohnheits-Vorrechten beharren. Irgedwas stimmt da doch nicht …
Das Fahrrad als Verkehrsmittel der Liberalen
Radfahren soll nicht liberal sein? Anhänger des wahren Liberalismus können einen solchen Etikettenschwindel nicht ertragen. Die Radkolumne hat deshalb ein FDP-Wunschprogramm aufgestellt, das liberale Fahrrad-Manifest: Liberales Fahrradmanifest.
Zur Ehrenrettung der Berliner Liberalen sei gesagt: Nicht die ganze FDP ist eine Raserschutzpartei. Der Bezirksverband FDP Friedrichshain-Kreuzberg hat die Zeichen der Zeit erkannt und den Berliner Fahrrad-Volksentscheid unterstützt. Fahrradfreundlich zeigt sich auch die FDP Pankow, sie hat sich in Anträgen an die Bezirksversammlung für zusätzliche Abstellanlagen eingesetzt. Liberalismus und Radfahren schließen sich nicht aus.
stimmt doch gar nicht. FDP ist für Fahrräder. Und zwar für Rikschas. Natürlich sitzen sie hinten!
Fairerweise muss man sagen, dass in der Berliner FDP verschiedene Parteiflügel konkurrieren. Die Parteispitze ist „Auto, Auto, Auto“ und verfolgt immer noch den wahnwitzigen Plan, einen geschlossenen Autobahnring durch Berlin zu ziehen, damit „der Verkehr abfließt“. Die harte dogmatische Linie also …
In einigen Bezirken (Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow) gibt es aber „Liberalisierungstendenzen“ … einige Politikerinnen und Politiker der FDP erkennen immerhin das Rad als Verkehrsmittel an und fordern punktuelle Verbesserungen. Berlinweites Tempo 30 ist aber auch bei den aufgeschlossenen FDP’lern verpönt.
Die Berliner CDU ist völlig in der Ideologie der autogerechten Stadt verhaftet. Die sind echt Jahrzehnte zurückgeblieben, als ob es die jüngsten Entwicklungen in Paris und Madrid nie gegeben hätte. Dort hat man ja endlich die Autos aus den Innenstädten verbannt.
Was fürn Quatsch. Verbesserung der Fahrrad-Infrastruktur ist eines der großen Ziele der FDP-Fraktion Mitte. Das darf man nicht an der Friedrichstraße fest machen. Denn hier wurden zum einen systemische Fehler gemacht und zum anderen geht die momentane Lösung zu Lasten der zu Fuß gehenden und Kinder, die man ja in die Friedrichstraße bekommen will. Sinnvolles Konzept wäre: eine parallelstraße der Friedrichstraße zur Fahrradstraße machen und ab Friedrichstraße bis Gendarmenmarkt eine vernünftig organisierte Fußgängerzone. So kann man die Fruedrichstraße wieder beleben. Nicht anders. Und das darf man nicht mit „Pro oder Contra Fahrrad“ verwechseln, sonst ist es billiger Populismus!
Ja, es ist nicht alles ideal in der Friedrichstraße, aber das lässt sich ja nachbessern. Das später eingeführte Limit von Tempo 20 ist ja eine gute Sache… und vielleicht gibt es auch noch weiteren Optimierungsbedarf.
Zu den Parallelstraßen, mal ganz generell:
Es ist besser, wenn der Radverkehr auf Hauptstraßen abgewickelt wird, denn die führen nunmal direkt von A nach B. Dieses Zickzack über Parallelstraßen verhindert, das sich Auswärtige schnell zurecht finden, und die Wege werden lang.
Zu den Parallelstraßen, konkret zur Friedrichstraße:
Warum nicht die ganze Friedrichstraße zu Fahrradstraße machen? Das Chaos unter der S-Bahn-Station, wo Fußgänger nicht legal von der einen auf die andere Seite kommen, es aber trotzdem tun, wäre damit passé.
Die Zukunft des Stadtverkehrs ist in Paris zu sehen. Mehr Fußgänger, mehr Radfahrer, weniger Autofahrer. Der Platz auf den Straßen lässt sich nunmal nicht beliebig erweitern, und die Autos brauchen zu viel davon. Sind die Autos weg, lässt sich die Fläche für die anderen gut nutzen. Das kommt dann auch dem Einzelhandel zu Gute.