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Berlin: 500 Tage Mob-Gesetz

Radfahren in Berlin
Radfahren in Berlin.

Im Jahr 2018 hat Berlin das Mobilitätsgesetz (MobG) verabschiedet. Was hat sich seither getan? Die Radkolumne hat sieben wichtige Stellen unter die Lupe genommen: die Tamara-Danz-Straße, die Kolonnenstraße, die Holzmarktstraße, die Hasenheide, die Karl-Marx-Straße, die Karl-Marx-Allee und die Oberbaumbrücke.

Tamara-Danz-Straße (Friedrichshain)

Tamara-Danz-Straße
Kampf um die Tamara-Danz-Straße.

Die Tamara-Danz-Straße (Bezirk Friedrichshain) ist alles andere als eine wichtige Verbindungsachse – aber sehr bezeichnend für die Respektlosigkeit vieler Autofahrer. Die Chronologie der Ereignisse:

  • An beiden Seiten wurde 2018 ein Fahrradstreifen aufgemalt.
  • Viele Besucher der East-Side-Mall und der Mercedes-Benz-Arena hatten keine Lust, ins Parkhaus zu fahren.
  • Der Fahrradstreifen wurde beidseitig von Autos beparkt, geduldet von Polizei und Ordnungsamt.
  • 2019 wurde der Fahrradstreifen mit Leitboys abgesichert, seither ist er wieder benutzbar.

Fahrrad-Fazit Tamara-Danz-Straße

2018Radstreifen von Autos beparkt.
2019Radstreifen ist frei.

500 Tagen nach Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes hat sich gezeigt: Farbe alleine schafft noch keine Infrastruktur für den Radverkehr. Erst mit den Leitboys wurde der Schwarzpark-Streifen zum Radstreifen.

Kolonnenstraße (Schöneberg)

Es gehört zu den Zynismen des Verkehrsplanung, und das nicht nur in Berlin, dass gefährliche Stellen zumeist erst nach tödlichen Unfällen entschärft werden. So war es auch in der Kolonnenstraße in Berlin-Schöneberg. Nachdem ein LKW-Fahrer im Januar 2018 eine Radfahrerin beim Abbiegen getötet hatte, wurde schnell ein Radstreifen aufgemalt. Doch wie in der Tamara-Danz-Straße wurde der Streifen von den Autofahrern völlig ignoriert. 2019 wurde dann mit Leitboys nachgebessert. Die Straße ist allerdings immer noch gefährlich. Der Radstreifen endet in einem Chaos.

Fahrrad-Fazit Kolonnenstraße

2018Radstreifen wird von Autos überfahren.
2019 Radstreifen ist abgesichert, Zufahrten bleiben gefährlich.

Ein Schutz durch Leitboys schafft noch immer keine hohe Sicherheit. Die Probleme: Die Autos fahren schnell und aggressiv. Der Radstreifen endet in einer Spur, die für Busse gedacht und für Radfahrer freigegeben ist. In Berlin heißt das: Ein von Autos dominierter Chaos-Streifen.

Holzmarktstraße (Friedrichshain)

Holzmarktstraße
Prestigeprojekt Holzmarktstraße

Die Fahrradstreifen in der Holzmarktstraße zählen zu den Prestigeprojekten der Berliner Verkehrswende. In der breiten Straße wurde auch bei der Breite für den Radverkehr nicht gegeizt. Das Problem sind allerdings die Zufahrten zur Holzmarktstraße. Auf der Seite der Jannowitzbrücke wurde eine sogenannte Fahrradweiche eingebaut. Das heißt: Abbiegende Autofahrer schießen von links in den Radstreifen.

Fahrrad-Fazit Holzmarktstraße

2018Radstreifen angelegt.
2019 Umstrittene Radweichen angelegt.

An der Holzmarktstraße wurden 500 Meter Fahrrad-Infrastruktur geschaffen. Der Radstreifen ist breit genug für die Fahrt mit dem Lastenrrad und das Überholen. Die Zufahrten an beiden Seiten der Holzmarktstraße sind immer noch zu gefährlich. Was ich beobachtet habe: Mütter mit Kindern nutzen den Radstreifen nicht. Das kommt davon, wenn ein Streifen nicht an Anfang und Ende lebensgefährlich ist.

Hasenheide (Kreuzberg)

Hasenheide
Hasenheide.

Die 1000 Meter lange Hasenheide führt vom Herrmannplatz zum Südstern. Und auf der gesamten Länge wurde auch ein neuer, abgepollerter Radstreifen direkt an der Fahrbahn eingerichtet – allerdings nur auf der Südseite. Auf der Nordseite befindet sich noch ein alter, gepflasterter Radweg neben dem Gehweg.

Fahrrad-Fazit Hasenheide

2018Achterbahn-Radwege beidseitig.
2019 Falsch abgepollerter Radstreifen auf Südseite.

Der alte Radweg auf der Nordseite der Hasenheide ist so missraten wie in vielen deutschen Städten. Das Pflasterung strapaziert die Bandscheiben, die Gestaltung der Ein- und Ausfahrten suggeriert dem Autofahrer, dass er hier Vorfahrt hat. Doch auch der Radstreifen auf der Südseite der Hasenheide ist nicht optimal. Wie auf dem Bild zu sehen ist: Sperrflächen, angelegt zum Schutz vor Tür-Unfällen (Dooring), werden von Autofahrern als Parkflächen betrachtet. Die Poller wurden auf der falschen Seite der Sperrfläche angebracht, was noch einen weiteren negativen Effekt hat. Auf dem schmalen Rest-Radstreifen lässt sich nicht komfortabel überholen. Es ist besser als vorher, aber so richtig Spaß macht das Radfahren hier immer noch nicht.

Karl-Marx-Straße (Neukölln)

Karl-Marx-Straße
Karl-Marx-Straße.

Was früher die Tamara-Danz-Straße war, ist heute die Karl-Marx-Straße: Zu beiden Seiten verläuft ein ungeschützter Radstreifen. Die Konsequenz: Die Autofahrer stellen dem Radstreifen zu und zwingen die Radfahrer zu lebensgefährlichen Manövern. Ein Unrechtsbewusstsein ist nicht vorhanden, die Stimmung aggressiv. Beim Fotografieren von Falschparkern wurde ich verbal und körperlich bedroht. Dabei war ich extra zu Fuß unterwegs, um nicht gleich als fotografierender Radfahrer die Automachos zu triggern.
Die folgenden Bilder zeigen einen kaputten Radstreifen, einen Streifen außer Funktion. Ohne Poller oder Abschlepper in Sichtweite wird ein Radstreifen ganz einfach als Parkstreifen zweckentfremdet. Das Bild mit dem Jeep zeigt einen Radler im Überlebenskampf. Aus Angst vor den Autofahrern quetscht er sich rechts am Geländewagen vorbei. So wird das nix mit der Verkehrswende.

Fahrrad-Fazit Karl-Marx-Straße

2018Fahrradhölle ohne Fahrradstreifen.
2019Fahrradhölle trotz Fahrradstreifen.

Die beiden Fahrradstreifen in der Karl-Marx-Straße werden von den Autofahrern nicht akzeptiert. Da hat sich überhaupt nichts verbessert. Die Autofahrer parken rücksichtslos und zwingen Radfahrerinnen und Radfahrer zu gefährlichen Manövern. Ohne massiven Schutz, am besten durch Beton, geht hier nichts voran.

Nachtrag zur Karl-Marx-Straße

Herrmannplatz
Karl-Marx-Straße am Herrmannplatz. Der erste Poller ist schon umgefahren.

Kleiner Nachtrag: Die ersten dreihundert Meter der Karl-Marx-Straße, und zwar am Herrmannplatz, wurden inzwischen abgepollert. Allerdings auf der falschen Seite der Sperrfläche, nämlich auf der Radstreifenseite, und mit dem falschen Material. Wie auf dem Bild zu sehen ist, werden Plastikpoller oder Leitboys werden schnell kaputtgefahren. Jetzt müssen die umgefahrenen Poller mit Baken geschützt werden? Das kann ja keine Dauerlösung sein. Hier helfen nur widerstandsfähige bauliche Lösungen oder der Einsatz von Abschleppfahrzeugen. Am besten beides.

Karl-Marx-Allee (Mitte und Friedrichshain)

Karl-Marx-Allee.

Auf der Karl-Marx-Allee, bis 1949-1961 hieß sie Stalinalle, protzte die DDR einst mit großen Militärparaden. Auf einer Straße, breit genug für Raketen und Zuschauertribühnen, haben bestimmt auch sinnvolle Dinge Platz, zum Beispiel Fahrräder. Wäre doch gelacht, wenn hier kein Paradies für Radfahrerinnen und Radfahrer entstünden. Die Arbeiterklasse eben. Doch zur Ziet ist an der Karl-Marx-Allee nur eine große Baustelle zu besichtigen.

Fazit Karl-Marx-Allee

2018 Eine Rennstrecke.
2019Eine Baustelle.

Bisher ist außer den neuen Fahrradbügeln, am Beginn hinter dem Alexanderplatz, noch wenig zu sehen. Hoffentlich klappt es auf der Karl-Marx-Allee mit kindersicheren und komfortablen Radwegen. Die Radkolumne bleibt dran.

Oberbaumbrücke (Friedrichshain und Kreuzberg)

Oberbaumbrücke
Horrorbrücke Oberbaumbrücke.

In der Umbauphase ist auch die Oberbaumbrücke, die Kreuzberg und Friedrichshain verbindet. Bis zum Start der Renovierung war es der reine Horror, dort mit dem Rad zu fahren. Die Autofahrer haben extrem knapp überholt, bei Bussen und LKWs hab ich den Sog gespürt. Jetzt ist ein Radstreifen unter dem Brückenbogen da. Die Todesgefahr ist also gebannt, aber die Fußgänger freuen sich natürlich nicht darüber.
Noch eine unschöne Angelegenheit: Beim letzten Umbau wurden Gleise verlegt, damit da irgendwann wieder eine Straßenbahn fährt. Wenn die jetzt rausgenommen werden, ist das ein Rückschritt. Auf der Seite von Friedrichshain wartet ein Stumpfgleis nämlich schon darauf, endlich wieder über die Brücke geführt zu werden.

Fazit Oberbaumbrücke

2018Eine Horrorbrücke.
2019Eine Baustelle.

Wie bei der Karl-Marx-Alle ist noch wenig zu sehen. Ideal wäre eine autofreie Oberbaumbrücke mit viel Platz für Fußgänger, Radfahrer und Straßenbahn. Dazu wird es wohl nicht kommen. Noch nicht. Oder vielleicht beim Umbau 2030. Die Radkolumne bleibt dran.

Fazit nach 500 Tagen Mobilitätsgesetz

Gesamtes Fazit: Der Wind hat sich in Berlin noch nicht wirklich gedreht. Der große Wurf ist noch nicht gelungen. Bleibt zu hoffen, dass die Verkehrswende endlich an Fahrt gewinnt und endlich komfortable Radschnellwege kreuz und quer durch die Hauptstadt gezogen werden. Abhängig ist dies natürlich auch von der politischen Lage. Sollte die Berliner Opposition (CDU, FDP, AFD) das Ruder übernehmen, so steht zu befürchten, dass das Rad wieder zurückgedreht wird. Wer sich nähet über das gruslige Verkehrskonzept der FDP informieren möchte: FDP-Verkehrskonzept. Achtung Spoiler: Der Autofahrer ist der Unterdrückte, den die FDP befreien möchte.

Perspektive: Autofreier S-Bahn-Ring

Langfristig kann es für Berlin sowieso nur eine Lösung aus dem Verkehrschaos geben, nämlich eine weitgehend autofreie Zone innerhalb des S-Bahn-Rings. Berlin hat keine Berge und der Nahververkehr ist am und innerhalb des S-Bahn-Rings gut ausgebaut. Wer dort wirklich ein Auto braucht? Vielleicht 5 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner. Wie in anderen Millionen-Metropolen auch, London und Paris beispielsweise, ist es an der Zeit, mal dicke Bretter zu bohren und ganz grundsätzlich über eine Neuverteilung des Verkehrsraums nachzudenken.

Vor rund 500 Tagen, am 28. Juni 2018, hat das Berliner Abgeordnetenhaus ein Gesetz beschlossen, das dem Chaos auf den Straßen hoffentlich ein baldiges Ende bereitet: Das Radgesetz. Aus Rücksichtnahme auf die hartnäckigen Autofahrer darf das Radgesetz nur Mobilitätsgesetz heißen, aber die Stoßrichtung ist klar: Es geht darum, dem Fahrrad einen gebührenden Platz im Straßenverkehr einzuräumen. Die wichtigesten Inhalte des Mobilitätsgesetzes: Umbau von gefährlichen Kreuzungen, Bau von Radschnellwegen, mehr Stellplätze für Fahrräder und Lastenräder sowie die Stärkung von Fußverkehr und ÖPNV.

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