Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du (Mahatma Gandhi). Unter Beschuss ist: Das Lastenrad. Der Kriegsgrund: Die Grünen haben eine Kaufprämie von 1000 Euro in die Debatte gebracht.
Die Generation Golf reibt sich die Augen
Die Generation Golf, aufgewachsen in den 80ern des letzten Jahrhunderts, reibt sich die Augen: da rollt was richtig richtig Großes auf uns zu: Das Lastenrad. Dass es sich nicht um einen Hype, sondern um eine Zeitenwende handelt, zeigen die Panikreaktionen der Gegner. Wie bitte, der Gegner? Gibt es denn tatsächlich Menschen, die beim Anblick eines Lastenrads den Untergang des Abendlandes herbeiwähnen? Ja, die gibt es, und es sind gar nicht so wenige. Sie nerven überall herum. In der Presse, auf Facebook, Twitter und am Stammtisch. Sie sind da, sie sind unter uns: die Verkehrsquerdenker.
Die Verkehrsquerdenker
Die Verkehrsquerdenker, eine paranoide Sammlungsbewegung aus stockkonservativen Auto-Taliban, politisch heimatlosen Porschefahrern und autostalinistischen Linken, übt sich im heroischen Abwehrkampf. Strategie Nummer eins: Die Ansprüche an das Lastenrad werden so hoch geschraubt, dass sie unerfüllbar sind, um schließlich das Gefährt als Ganzes madig zu machen. Die übliche Argumentation: Wenn nicht 100 Prozent aller Handwerksfahrten mit dem Lastenrad erledigt werden können, darf es keine einzige sein.
Was den Verkehrsquerdenkern noch nicht aufgefallen ist: Eine Schubkarre ersetzt auch keinen Kran, und trotzdem ist sie auf jeder Baustelle im Einsatz. Und Leitern erst! Obwohl Zwei-Meter-Leitern nicht für ein vier Meter hohes Regal ausreichen, werden sie dennoch produziert und genutzt. Die Nebelkerzen Nummer zwei und drei der Anti-Lasterrad-Bubble zielen auf die finanziellen Verhältnisse ab. Entweder sind Lastenradfahrer zu arm für ein Auto oder sie gehören zur Alnatura-Schickeria. Oder beides. In der wirren Parallelwelt der Verschwörungstheoretiker geht das schon irgendwie zusammen. Nebelkerze Nummer vier: Das Lastenrad hat keinen Platz im Hausflur oder im Keller. Und es stört auf dem Gehweg. Dieser Ansatz ist wirklich von empörender Dummheit. Das Lastenrad hat keinen Platz, weil die Straßenränder als Blechlagerflächen missbraucht werden. Die Lösung ist ganz einfach: Auto-Parkplätze in Lastenrad-Parkplätze umwandeln. Auf einen Autoparkplatz passen locker zwei bis drei Lastenräder. Und bald vier bis fünf, weil die Autos immer größer werden.
Das Verkehrsministerium und das Lastenrad
Das BMVI (Bundesverkehrsministerium) müsste jetzt den Lastenrad-Boom befördern. Das wird gebraucht, um die Verkehrswende zu beschleunigen: Lastenrad-Abstellplätze und Ladezonen in der Stadt, breite Radwege, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit innerorts. Und auf dem Land? Da muss die Bahn endlich wieder flott gemacht werden. Notwendig sind die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken, der Neubau von Strecken und die Bereitstellung von geeigneten Gepäckwagen für den Lastenrad-Transport. Die Autoreisezüge wurden von der Deutschen Bahn eingedampft, die Fahrradreisezüge sind ein perfekter Ersatz.
Beim BMVI stoßen diese Forderungen allerdings auf taube Ohren. Ein Tweet des Verkehrsministers vom 24.8.2021 zeigt, was Sache ist: „Glauben die Grünen wirklich, mit Verboten sogar im Sport (z.B. Kitesurfen), Singen und Lastenrad lösen wir die großen Klimafragen? – Sicher nicht. Wir als CDU/CSU setzen beim Klima auf Erfindergeist & Innovation.“
Was haben Kitesurfen, Singen und Lastenrad miteinander zu tun? Ist das nur ein launiger Tweet gewesen, ein Ausrutscher? Nein, das ist die übliche christsoziale Anti-Velo-Rhetorik. Die Chancen des Lastenrads sind auch im BMVI (Verkehrsministerium) sehr wohl erkannt worden. Und eben deshalb versucht der velofeindliche Verkehrsminister Andreas Scheuer verzweifelt, das Lastenrad lächerlich zu machen. Aber wie sagte schon Victor Hugo:
Der Anti-Lastenrad-Wahlkampf wird ein Flop. Glaubwürdig macht sich die CSU dadurch nämlich nicht. Beschworen werden ja ausgerechnet Erfindergeist und Innovation. Und das Lastenrad ist nun mal eine grandiose Erfindung, und das E-Lastenrad eine geniale Innovation.
Warum dann diese Aggressivität der CSU? Ein Erklärungsversuch: Die Nerven der christsozialen Auto-Ajatollahs liegen blank, weil ihnen die Wählerinnen und Wähler davonlaufen. Die freuen sich nämlich längst nicht mehr über SUVs und Pickups in ihrer Nachbarschaft. Die Menschen wollen sichere Zustände auf den Straßen und kein Autochaos mehr. Nicht vor dem Haus und nicht auf den Schulwegen.
Lastenräder und Lastenaufzüge sind Satanswerke
Das Lastenrad ersetzt die Häfte der Fahrzeuge, die das Handwerk benötigt. Daran werden sich die Verkehrsquerdenker gewöhnen müssen. Und wenn nicht? Dann mutieren sie immer mehr zu den Don Quixottes unserer Tage. Sie führen glorreiche Feldzüge gegen Lastenräder und … warum nicht auch gegen Lastenaufzüge? Sind die nicht auch ein Werk des Satans? Gefährden Lastenaufzüge nicht die Hersteller von Kränen? Und sind Hubschrauber nicht besser als Lastenaufzüge? Fragen über Fragen, mit denen sich die Erbsenzähler und Fantasten lange und intensiv beschäftigen …
Das Lastenrad vereint
Das Lastenrad ist so beliebt, weil man dafür keinen Führerschein und keine Versicherung braucht. Es setzt sich durch, weil es von unterschiedlichen Gruppen geliebt und gefahren wird. Auf den Sattel des Lastenrads schwingen sich die Klimabewegten, die Technikfreaks, die Handwerker, die Väter und Mütter, die Leute mit geringem Einkommen und die Hedonisten. Hä? Hedonisten? Ja, das sind die, die immer den neuesten Kick suchen, also die dopamingesteuerten Angeber. Na klar fahren die auch Lastenrad. Das ist aber nicht schlimm. Wenn sie dafür ihre vierrädrigen Rennpanzer verschrotten, ist das ein Fortschritt. Beim Lastenrad sind alle dabei, nicht nur die Grünen. Wenn die Grünen etwas richtig machen, und die anderen machen es nach, ist das doch prima. .
Generation Lastenrad
Was so hart wir das Lastenrad angegriffen wird, wird sich durchsetzen. Jetzt sehen wir erst die Anfänge. Es gibt immer noch Jugendliche, die sich schon mit 16 Jahren am Sonntag auf Verkehrsübungsplätzen herumtreiben, um mit 17 den Führerschein zu machen, aber das sind die letzten Ausläufer einer überkommenen Autokultur.
Die jetzt 10 bis 15-Jährigen sparen das Taschengeld für ihr Lastenrad an, denn sie wollen so früh wie möglich von Eltern und Auto unabhängig sein. Das Lastenrad ist das neue Lebensgefühl der Jugend, es steht für Freiheit und Aufbruch. Mit dem Lastenrad geht es auf Zeltlager und wird der Gitarrenverstärker zur Bandprobe gebracht. Mit dem Lastenrad wird zu den Treffs gefahren und für das nächste Cargobike-Rennen trainiert. Weg mit den Autoboxen, her mit dem Soundbike. The Boombike Brothers gonna work it out … auf dem Radschnellweg ins Grüne rausfahren, spontan abbiegen und im Gras liegen, den Sternenhimmel betrachten, Saxophon und Sixpack aus dem Lastenrad holen. Das ist das neue, ungezwungene Lebensgefühl der Generation Lastenrad. Es ist das gleiche Gefühl, das Generationen vor uns bei ihrer ersten Italienreise mit der Isetta hatten. Das ist Freiheit. Überzüchtete Autos sind keine Freiheit, sie sind Torheit und schaden den Menschen, die wir lieben.
Die Generationen davor
Ich hab mir mal den Spaß gemacht, alle Generationen der Nachkriegszeit zu sortieren. Was war vor der Generation Lastenrad? Los geht es mit den Skeptikern … also der skeptischen Generation, nicht den Fans der gleichnamigen Punkkapelle. 😉
- Nachkriegs-Generation, auch skeptische Generation genannt. Geburtsjahr bis 1945. Skeptisch waren sie gegenüber ihren Eltern. Aufgewachsen sind sie mit Adenauer. Mit Rock and Roll wurden sie „halbstark“.
- Boomer oder Baby Boomer (Geburtenstarke Jahrgänge). Aufgewachsen mit Willy Brandt, den Beatles und den Rolling Stones. Gefürchtet auf den Social-Media-Netzwerken bei jüngeren Usern. Typisches Zeichen, dass Jüngere die Nase voll haben: „OK Boomer“.
- Generation X. Geburtsjahr von 1960 bis 1980. Aufgewachsen in der Krise der 80er-Jahre. Stilrichtung Punk und New Wave.
- Generation Y oder Millenials. Geburtsjahr 1981 bis 1999. Aufgewachsen mit dem Internet. Typischer Vertreter: Rezo.
- Generation Z. Geburtsjahr 2000 bis heute. Aufgewachsen mit Smartphone und Social Media. Die Generation hat Fridays for Future auch mit Hilfe der sozialen Medien auf die Beine gestellt. Und auch die vielen Radentscheide. Die Generation Z hat den Weg für die Generation Lastenrad geebnet.
Ein Auto kann ein Lastenrad nicht ersetzen
Das Lastenrad erobert die Herzen und die Straßen. Endlich gibt es mal wieder eine Technik, die das Leben für alle einfacher und sicherer macht. Ich bin total begeistert und freue mich riesig über jedes einzelne Lastenrad – und über die wachsende Begeisterung um mich herum. Ich bin zwar nicht mehr so ganz jung, aber: Generation Lastenrad, das bin ich auch!
Ich bin gespannt auf die Wahlen. Hat jemals eine Partei irgendwelche Wahlen dadurch gewonnen, dass sie gegen sinnvolle technische Errungenschaften gewettert hat? Gegen Flaschenzüge, Feuerlöscher oder Blitzableiter?
In 20 Jahren ist das Lastenrad das Volksvelo. Damit fahren die Krankenschwester, der Zimmermann, die Archäologin, der Gemüsehändler und den Zweiradmechatroniker. Damit fährt die Familie am Sonntag zum Baggersee. Das Lastenrad setzt sich durch, weil es technisch überlegen ist. Ein Auto kann ein Lastenrad nicht ersetzen.
Ups, das wurde wieder ein längerer Artikel. 🙂 Aber jetzt raus aufs Fahrrad, in den Abend hinein. Es darf auch ein Lastenrad sein. Mit wohl gefülltem Picknickkoffer, so auf eine richtig spießige Landpartie mit Deckchen und passendem Porzellan. Apropos spießig … liebe CSU, in 20 Jahren steht auch ihr mit dem praktischen Lastenrad in der Fußgängerzone. Dann habt auch ihr den Sprung in die Moderne geschafft. Dann habt auch ihr euch vom Elend der Auto-Abhängigkeit befreit. Denn um diese Abhängigkeit geht es doch. Die verkehrspolitische Balance ist wieder hergestellt, wenn niemand mehr auf das Auto angewiesen ist. Freiheit statt Automobilismus.
PS: Hat dir der Beitrag gefallen? Hier kannst du den Autor unterstützen… und kommst billig an 32 Cargobikes 😉
Ein wunderbarer Artikel. Leicht zum Schmunzeln. Gibt mir wieder Hoffnung.
Danke schön.. und bitte die Hoffnung nicht aufgeben. Die ist ja in der Büchse der Pandora ganz unten drin…
Genau, ganz genau so ist es. Nur dass die Generation Lastenrad schon bei uns anfängt, und wir sind Oma und Opa und transportieren unsere Enkelkinder nicht mehr ,wie unsere Kinder, nur mit dem Fahrradanhänger, sondern mit dem Lastenrad, und das macht so richtig Spaß.
Ich stelle mir gerade vor, meine Großelteren hätten mit mir Lastenrad-Ausflüge gemacht. Ich hätte es genossen 🙂
„Die jetzt 10 bis 15-Jährigen sparen das Taschengeld für ihr Lastenrad an,“
Äh, Nein? Niemand macht so was. Diese Generation fährt Fahrrad und hat keinen Transportbedarf, der darüber hinausgeht.
Kommt auch auf die Eltern an. In Lastenradfamilien ist das gar nicht so selten.
Leider schrumpft die Lastenrad-Euphorie nach 4 Jahren Selbstständigkeit als SHK-Meister mit Lastenrad arg. Erstens ist es extrem anstrengend bei jeder Witterung schwere Lasten per Rad durch eine Autostadt wie Osnabrück zu bringen. Zweitens sind Lastenräder technisch für schwere Lasten unzureichend ausgestattet und reparaturanfällig. Drittens gibt es in meiner Branche offensichtlich keine Bereitschaft, auf wettergeschützten Transport zu verzichten, so dass ich keine PartnerIn für das Business finde. Auf Dauer ist solch ein Betrieb aber nur mit mindestens 4 Händen zu halten. Der Lastenrad-Boom wird vermutlich mit wachsender Zahl an E-Transportern verschwinden.